Von Nils Klute, IT-Fachredakteur und Projektmanager Kommunikation bei EuroCloud Deutschland
Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen in Deutschland verfügt nicht über die Voraussetzungen, um ihre Daten effizient zu bewirtschaften, wie eine aktuelle Studie vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt. Ein Gespräch mit Barbara Engels und Jan Büchel vom IW über ökonomische Notwendigkeiten, rechtliche Feigenblätter und die unentdeckten Ländereien von Gaia-X.
eurocloud.de: Frau Engels, viele Unternehmen halten es schlicht für wirtschaftlich unnötig, sich Gedanken über datenbasierte Geschäftsmodelle zu machen. Hat Sie das Ergebnis aus Ihrer Studie überrascht?
Barbara Engels: Nein, das hat es nicht. Wir müssen uns verdeutlichen, dass wir von Berufs wegen in einer Blase leben, die optimistisch auf die Digitalisierung schaut. Während es unser Ziel ist, digitale Technologien so zu gestalten, dass Gesellschaft und Wirtschaft profitieren, sieht die Realität anders aus. Wie genau, das zeigt die Umfrage, die wir im Herbst 2021 unter deutschen Unternehmen aus der Industrie und industrienahen Dienstleistern durchgeführt haben.
Herr Büchel, was bremst die Industrie mit Daten aus?
Jan Büchel: Rechtliche Fragen sind für 68 Prozent der Befragten das größte Hemmnis, um Daten mit anderen Unternehmen zu teilen. Gerade der Datenschutz bleibt ein Knackpunkt – aber nur scheinbar. Denn wer genauer hinschaut, erkennt, dass nicht die Sache per se bremst, sondern eher Unklarheiten, die bei dem Thema vorherrschen. Wie der rechtliche Rahmen aussieht, in dem sich Daten sehr wohl teilen und bewirtschaften lassen, ist zumeist gar nicht bekannt.
Engels: Juristische Bedenken sind für manche Unternehmen eine Art Feigenblatt, das sie nach Belieben vorschieben können, um sich dem eigentlichen Problem nicht zu stellen: Wie verdiene ich mit Daten Geld? Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, erscheint vielen erfolgreichen Hidden Champions schlicht unnötig. Die Auftragsbücher sind doch voll und das Geschäft brummt! Ein Trugschluss, der dazu führt, dass 73 Prozent der Befragten ihre Daten nicht gemeinsam mit anderen Unternehmen bewirtschaften.
Was muss passieren, damit Unternehmer:innen ihre Haltung ändern?
Engels: Es muss offenbar leider wehtun. Wer beispielsweise einmal erlebt hat, wie sich Cyberangriffe auswirken können, investiert von sich aus in Schutz. Wer dagegen die Chancen der Datenökonomie links liegen lässt, der merkt davon erstmal gar nichts. Deshalb passiert auch nichts.
Büchel: Viel wäre bereits erreicht, wenn Firmenlenker:innen ihre Haltung hinterfragten, statt Stillstand in Zeiten zu kultivieren, die eigentlich Wandel erfordern. So erfüllen 71 Prozent der Unternehmen auch gar nicht die Voraussetzungen, die notwendig sind, um Daten überhaupt effizient bewirtschaften zu können.
Wo zeigt sich das?
Büchel: Viele pflegen weiterhin analoge Ablagen oder erfassen ihre Daten gar nicht. Lediglich die Hälfte der Unternehmen speichert beispielsweise Produktions- und Prozessdaten digital. Am ehesten liegen noch Finanz-, Produkt- und Stammdaten von Kund:innen derart vor. Wir gehen davon aus, dass sich Informationen insgesamt aber erst gar nicht effizient verarbeiten lassen, wenn sie in analogen und heterogenen Systemen schlummern. Die Folge: Mögliche Datenschätze bleiben ungenutzt und unentdeckt.
Engels: Nur wer gesammelte Informationen effizient bewirtschaften kann, ist überhaupt bereit für die Datenökonomie. Die Cloud ist das zentrale Instrument, um Daten zu speichern, auszutauschen und gemeinsam ökonomisch zu verwerten. 40 Prozent der Befragten setzen bereits auf die Cloud. Unsere Studie zeigt: Unternehmen mit vielen Beschäftigten, hohem Umsatz, hohen Erfolgserwartungen oder solche, die Clouds nutzen, sind signifikant häufiger „data economy ready“ als Unternehmen, die diese Charakteristika nicht aufweisen.
Jetzt soll Gaia-X mehr Unternehmen in die Cloud bringen und die Datenökonomie real werden lassen. Welche Rolle spielt die Initiative?
Büchel: Bislang eher eine untergeordnete: Nur 9 Prozent der von uns befragten Unternehmen kennen die Gaia-X-Initiative – im Vorjahr waren es 6 Prozent. Das ist sicherlich steigerungsfähig.
Was raten Sie Gaia-X?
Engels: Viele Kräfte basierend auf europäischen Werten und Standards zu bündeln, ist natürlich richtig und wichtig. Aber messen lassen muss sich der Erfolg der Initiative an ihrer Wirkung. Für uns als Wirtschaftswissenschaftler:innen ist Gaia-X dann erfolgreich, wenn Unternehmen die Dateninfrastruktur auch wirklich nutzen. Gewissermaßen muss hier erst noch die Probe aufs Exempel erfolgen.
Büchel: Sauber ausformulierte Geschäftsmodelle sind das eine – eine technologisch funktionierende Dateninfrastruktur und profitable Use Cases das andere. Letzteres würde den Unternehmen mehr helfen. Denn das Dilemma, Daten nicht gemeinsam zu bewirtschaften, resultiert auch teilweise aus mangelnden ökonomischen Anreizen. Beides bedingt sich dabei gegenseitig.
Geschäftsmodell oder Infrastruktur – was braucht es bei Gaia-X zuerst?
Engels: Wir meinen, die Geschäftsmodelle ergeben sich, wenn die Dateninfrastruktur bereitsteht. Vorausgesetzt, die Unternehmen zeigen sich offen dafür, ihre Business Cases anzupassen. Hier ruhen sich viele mittelständische Unternehmen noch zu sehr auf den Erfolgen der Vergangenheit aus.
Büchel: Die Industrie muss Gaia-X als Möglichkeit begreifen, um sich in einem geschützten Rahmen an die Chancen heranzutasten, die die Datenökonomie bietet. Die dezentrale, standardisierte und vernetzte Dateninfrastruktur wird dazu nicht nur die rechtlichen Bedenken adressieren, sondern auch den sicheren und souveränen Rahmen schaffen, damit immer mehr Unternehmen ihre Daten endlich in die eigenen Geschäftsmodelle integrieren…
Engels: …so erklärt sich zum Beispiel, warum bislang nur 5 Prozent der Befragten Daten als Produkt verkaufen.
Apropos Datenprodukte: Welche Ansätze sieht die Wirtschaftsforschung, um ihren Preis zu bestimmen?
Engels: Um den Wert von Daten zu ermitteln, gibt es keine allgemeingültige Lösung, aber verschiedene Ideen. Entscheidend ist es, zu klären, woraus sich der Wert überhaupt zusammensetzt.
Büchel: Das beinhaltet beispielsweise die Kosten, die anfallen, während Unternehmen Informationen erheben. Darunter summieren sich dann etwa Ausgaben für die benötigten Technologien wie Konnektivität, Speicher- oder Verarbeitungsressourcen. Darüber hinaus müssen die Firmen aber auch antizipieren, welchen Wert sie dem eigenen Produkt aus Sicht der Kundschaft beimessen können.
Engels: Lassen sich mit den Daten zum Beispiel Prozesse beschleunigen, die Qualität steigern oder der Service verbessern – all das muss in die Bewertung einfließen. Sonst bleibt der wahre wirtschaftliche Nutzen einer gemeinsamen Datenbewirtschaftung auch deshalb noch zu oft unentdecktes Land.
Wir danken für das Gespräch!
Zur Studie
Unternehmen können ihren Erfolg steigern, wenn sie ihre eigenen Daten bewirtschaften. Sie können dadurch unter anderem ihre Unternehmensprozesse datenbasiert analysieren und verbessern. Auch kann es für Unternehmen vorteilhaft sein, wenn sie mit anderen Unternehmen gemeinsam Daten bewirtschaften. In der Studie „Datenbewirtschaftung von Unternehmen in Deutschland: Eine empirische Bestandsaufnahme“ haben Barbara Engels und Jan Büchel vom Institut der deutschen Wirtschaft das Spannungsfeld untersucht. Die Veröffentlichung aus dem März 2022 steht online zum Download bereit.
Zur Person
Barbara Engels, Senior Economist für nachhaltige Digitalisierung am Institut der deutschen Wirtschaft, forscht dazu, wie Digitalisierung gestaltet sein muss, damit Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig von ihr profitieren und die Umwelt geschützt wird. Zuvor initiierte sie deutsch-israelische Wirtschaftskooperationen bei der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer in Tel Aviv und arbeitete als freie Journalistin. Sie hat Volkswirtschaftslehre (B.Sc. und M.Sc.) in Berlin, New York und Barcelona studiert.
Jan Büchel, Economist für Datenwirtschaft am Institut der deutschen Wirtschaft, forscht dazu, wie sich die Digitalisierung der Wirtschaft in Deutschland entwickelt und welche Anreize notwendig sind, damit Unternehmen Daten intensiver bewirtschaften und mit anderen Unternehmen teilen. Zuvor war er bei einer wettbewerbsökonomischen Unternehmensberatung tätig. Er hat Volkswirtschaftslehre (B.Sc. und M.Sc.) in Bonn studiert.