Interview mit Henrik Hasenkamp, CEO von gridscale, über GAIA-X
von Thomas Sprenger
Ihr Unternehmen beteiligt sich an zwei Arbeitsgruppen zur GAIA-X-Initiative: Warum braucht Europa aus Ihrer Sicht ein eigenes Ökosystem für eine gemeinsame Dateninfrastruktur in der Cloud?
Henrik Hasenkamp: Europa braucht mehr eigene Innovation in Zukunftstechnologien. In vielen Bereichen, beispielsweise bei Elektromobilität, Robotik, Telekommunikation, Social Media und in der Cloud hat Europa entweder nie eine führende Rolle erlangt oder wird von anderen Regionen nach hinten durchgereicht. Damit hängt unser Wirtschaftsraum letztlich am Tropf ausländischer Technologielieferanten. Und auch politisch werden wir diese Abhängigkeit zu spüren bekommen, wie der Handelsstreit mit den USA erahnen lässt. Eine europäische Dateninfrastruktur ist die technische Grundlage für Fortschritte auf vielen Feldern in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Darum geht die Bedeutung von GAIA-X über ein Netzwerk für Cloud- und Edge-Dienste hinaus. Wir müssen unsere Gestaltungssouveränität auf diesen Gebieten wiedererlangen. GAIA-X lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit auf die zentrale Funktion von Cloud-Technologien für den digitalen Binnenmarkt und bündelt dazu viele Kräfte in Europa.
Welche Chancen bestehen, dass GAIA-X ein Erfolg wird?
Hasenkamp: Neue Ansätze haben immer die Option zu scheitern. Letztlich wird der Erfolg von GAIA-X davon abhängen, wie gut sich ein eigenes europäisches Daten-Ökosystem im freien Markt behauptet. In dieser Hinsicht teile ich die Einschätzung der Deutschlandchefin von Microsoft, Sabine Bendiek. Es geht am Ende um Geschäftsnutzen für den Kunden. Die Frage ist also, gelingt es uns, die angedachten Dienste in einer Geschwindigkeit und Qualität bereitzustellen, die für Kunden in Europa wirklichen Nutzen schafft. Im Unterschied etwa zum Datenschutz geht es bei GAIA-X ja nicht um Gesetze und Verbote, sondern um ein Netzwerk konkreter Services, die Bürger, Unternehmen und Behörden einsetzen.
gridscale ist ein Cloud-Spezialist für den Mittelstand. Wie hoch ist die Offenheit im Mittelstand für die Cloud?
Hasenkamp: Sowohl unsere eigene Erfahrung mit Kunden als auch Umfrageergebnisse der letzten Jahre zeigen ein differenziertes Meinungsbild im Mittelstand: Kleine und mittelgroße Unternehmen hierzulande haben sich erst allmählich für die Idee geöffnet, den Betrieb der eigenen IT-Infrastruktur aus den Händen zu geben bzw. eigene Daten auf eine fremde Infrastruktur auszulagern. Mittlerweile erkennen aber viele Unternehmen den entscheidenden Vorteil der Cloud: sich auf die eigenen Kernkompetenzen zu konzentrieren. Für den Zugriff auf IT-Ressourcen nutzen sie die Expertise von Spezialisten.
Vor welchen besonderen Herausforderungen steht der deutsche Mittelstand beim Zugriff auf digitale Infrastrukturen?
Hasenkamp: Das Problem ist der Zugang zu Experten. In Gesprächen mit Kunden hören wir immer wieder, wie schwer es gerade für Unternehmen aus dem Mittelstand ist, erfahrene Entwickler und IT-Fachleute zu finden. Je komplexer und vielschichtiger digitale Technologien werden, desto mehr verschärft sich die Personalknappheit. Cloud-Dienste entlasten Unternehmen vom Aufwand des Rechenzentrumsbetriebs. Als Cloud-Nutzer brauchen sie sich nicht länger mit Netzwerk, Hardware, IT-Beschaffung, Wartungsarbeiten, Ausfällen, physischer Sicherheit und dergleichen zu beschäftigen. All das wird vom Cloud-Provider als Service geboten. Und dank Spezialisierung und Größenvorteilen in einer Qualität, die für das einzelne mittelständische Unternehmen nicht zu vertretbaren Kosten umsetzbar wäre. GAIA-X erweitert die Cloud um einen höheren Grad an Kooperation und Freiheit für Nutzer. In einem europäischen Ökosystem können sie Dienste einfacher kombinieren, Anbieter leichter wechseln und Daten sicherer mit Partnern austauschen und verarbeiten.
Wir stehen am Anfang eines neuen Jahrzehnts. Glauben Sie, dass am Ende alle Unternehmen auf den Public Clouds der großen Hyperscaler landen werden?
Hasenkamp: Nein, ich glaube nicht einmal, dass am Ende des Jahrzehnts alle IT-Workloads überhaupt in der Cloud sind. Es macht schlicht keinen Sinn, alles in die Cloud zu verlagern. Nicht einmal zehn Prozent aller Arbeitslasten wird heute von Hyperscalern übernommen. Mehr als 70 Prozent aller IT-Prozesse betreiben Unternehmen nach wie auf hauseigener Infrastruktur. Das ist ein enormes Volumen, über das wir hier sprechen.
Trotzdem werden sich in der kommenden Dekade einige Paradigmen neu sortieren. Diverse Standarddienste werden unaufhaltsam in die Cloud abwandern, weil es einfach wirtschaftlich und technisch die beste Alternative ist. Gute Beispiele hierfür sind Office 365, Azure ADDS und dergleichen. Microsoft hat hier den Vorteil, dass sie eine nahtlose Verknüpfung der Betriebssysteme mit der De-facto-Standard-Software erzwingen können. Ob das jetzt in jedem Fall gut ist, sollte jeder für sich bewerten. Der Trend hier ist aber eindeutig.
Wir schätzen, dass am Ende des Jahrzehnts zumindest die Mehrheit der IT-Workloads, etwa 50 bis 60 Prozent, auf den großen Cloud-Plattformen prozessiert werden. Der Rest wird vermutlich nie diesen Weg gehen (und möglicherweise dann irgendwann ersetzt werden). Hier erwarten wir eine Aufteilung zwischen kleineren Cloud-Providern, On-Premises-Installationen und speziellen Dienstleistern für einzelne Technologien.
Wenn gridscale seine Dienste in das GAIA-X-Ökosystem einbringt: Was müssen Sie verändern und was verbessert sich dadurch für Ihre Kunden?
Hasenkamp: Wir müssen nicht viel verändern, da gridscale schon immer auf offene Standards setzt. Vereinzelt werden wir unsere Technologie erweitern, um die Interoperabilität mit anderen Plattformen zu optimieren. So wäre denkbar, dass wir einen Data-Take-out-Request für Kunden vollständig automatisieren. Hierbei würden wir die Daten auf Wunsch nicht nur exportieren und bereitstellen, sondern automatisch auf einen anderen GAIA-X-Knoten migrieren. Für den Kunden wäre das ein großes Plus an Komfort und Freiheit. Wir binden unsere Kunden ohnehin durch keinerlei Vertragslaufzeiten. Im GAIA-X-Netzwerk könnten wir diese Flexibilität technisch noch konsequenter umsetzen. Und seien wir ehrlich: Es hätte seinen Charme, wenn ein Kunde nur einen Knopf drücken müsste, um wenig später bei einem anderen Anbieter einfach dort weiter zu machen, wo er kurz zuvor aufgehört hat.
Über Henrik Hasenkamp
Henrik Hasenkamp ist CEO bei gridscale und verfügt über 15 Jahre Erfahrung in der Hosting-Industrie. Der Software-Hersteller gridscale steuert über seine Technologien beliebige Rechenzentrumskapazitäten und stellt diese als Public-, Private- oder Hybrid-Cloud bereit. Dazu betreibt das Unternehmen Infrastrukturressourcen bei großen Colocation-Anbietern sowie direkt beim Kunden vor Ort.