Von Thomas Sprenger, freiberuflicher IT-Fachredakteur
Für mittelständische Systemhäuser tickt die Uhr: Sieben von zehn Geschäftskund:innen sind schon in der Cloud. Aber als wichtigste Ansprechpartner:innen in Sachen IT können die Systemhäuser ihres Vertrauens selbst bei einfachen Fragen zu AWS, Azure & Co. nicht liefern. Sollen klassische IT-Provider mit Cloud-Native-Dienstleister:innen kooperieren oder gefährden sie damit ihre Stellung als Trusted Advisor? Im Interview erklären Dr. Nils Kaufmann, Leiter bei EuroCloud Native, und die beiden EuroCloud-Vorstände Bernd Krakau und Felix Höger von der Systemhausinitiative Channel2Cloud, wie sich Systemhäuser und Cloud Natives optimal ergänzen.
eurocloud.de: Allein im Mittelstand nutzten 2020 fast drei Viertel der Unternehmen Dienste aus der Cloud. In einer Umfrage von ISG und EuroCloud Native halten 85 Prozent der befragten IT-Entscheider eine Zusammenarbeit mit spezialisierten Cloud-Dienstleister:innen, sogenannten Cloud Natives, für unverzichtbar. Werden traditionelle IT-Partner:innen für den Mittelstand, die Systemhäuser, damit obsolet?
Bernd Krakau: Beim Cloud-Reifegrad hat sich im Channel in den vergangenen Jahren einiges getan. Zumindest bei den großen Systemhäusern. Sie verstärken ihre Cloud-Kompetenz durch Aufbau eigener Fachabteilungen oder anorganisch durch Käufe und Beteiligungen. Kleine und mittlere Anbieter:innen tun sich dagegen noch schwer mit der Cloud-Transformation.
Felix Höger: Das ist nachvollziehbar. Ohne Not führt kein Provider OnPrem-Kund:innen von sich aus in die Public Cloud. Der Impuls geht eindeutig von Kund:innenseite aus. Mittelständische Systemhäuser müssen lieferfähig werden in Sachen Hyperscaler. Aber sie verfügen weder über das Kapital für Zukäufe noch über Marken mit Strahlkraft im Wettbewerb um die raren Cloud-Expert:innen im Markt.
Dr. Nils Kaufmann: Oft haben Systemhäuser nicht vorausschauend geplant, Anfragen zu Cloud-Diensten eher operativ und opportunistisch bedient, um Kund:innen nicht zu verlieren. Es fehlen eine langfristige Strategie und der systematische Aufbau eigener Teams. So bleibt die Cloud eine Leerstelle im Portfolio.
Können Systemhäuser Kompetenzlücken durch Partnerschaften mit Cloud Natives schließen?
Krakau: Pioniere sind auch hier wieder die Systemhauskonzerne. Wegen ihres Marktgewichts konnten sie derartige Kooperation unbefangener testen. Aber fruchtbar wäre die Zusammenarbeit mit Cloud Natives besonders für mittelständische Systemhäuser. Weil sie kurzfristig mehr Wertschöpfungstiefe bei den großen Cloud-Plattformen erreichen.
Welche Fähigkeiten bringen Cloud Natives mit?
Kaufmann: Vor allem Fachwissen zu Microservices und Container-Technologien. Sie bilden das Rückgrat für die nächste Generation von Softwarelösungen. Ebenso: Methoden für agile Software-Entwicklung und eine enge Integration mit dem Software-Betrieb, Stichwort DevOps und Continous Integration, Delivery und Deployment. Und das Wichtigste ist: Cloud Natives lösen IT-Probleme auf eine neue Art und Weise.
Was wäre eine effektive Aufgabenteilung zwischen Systemhaus und Cloud-Native-Providern?
Höger: Cloud Natives bringen die technischen Spezialkenntnisse ein, das Systemhaus den Kund:innenkontakt. Der Channel ist mit seinem Geschäftsmodell auf dauerhafte Kund:innenenbeziehungen ausgerichtet. Auch bei Cloud-Diensten setzt er auf Managed Services, also wieder auf ein langfristiges Dienstverhältnis.
Kaufmann: Cloud Natives fokussieren sich aufs Projektgeschäft. Als Expert:innen für Datenanalysen, Big Data, Data Lakes oder Software-Entwicklung lösen sie solitäre Probleme und kümmern sich danach um den nächsten Auftrag. Mit Service-Geschäft auf Basis wiederkehrender Umsätze kennen sie sich naturgemäß nicht aus. Allenfalls profitieren sie von Provisionen aus dem Infrastrukturverbrauch der Kund:innen auf den Cloud-Plattformen. Darum ergänzen sich beide Partner optimal.
Welches Risiko gehen Systemhäuser mit solchen Kooperationen ein?
Höger: Das ist der Punkt. Cloud Natives operieren Asset-light, das heißt ohne eigene Infrastruktur. Es gibt keinen Zielkonflikt mit dem Delivery-Modell eines Systemhauses, also Verkauf, Integration und Betrieb. Keine versteckte Agenda, kein Abwerben von Kund:innen, weil beide Partner:innen unterschiedliche und vor allem komplementäre Leistungen bieten. Zusammen ergeben sie in Cloud-Projekten ein Ganzes.
Kaufmann: Partnerschaften mit Cloud Natives als verlängerter Werkbank ermöglichen dem mittelständischen Channel ein risikoarmes Lernen in der Praxis. Cloud Natives sind dabei Spezialist:innen und nicht Generalist:innen. Aus einem Cloud Native wird definitiv kein Systemhaus 2.0.
Braucht ein Systemhaus in dieser Konstellation überhaupt noch eigene Cloud-Expertise, um den Kund:innenkontakt weiterhin zu steuern?
Krakau: Nehmen wir ein alltägliches Beispiel: Ein Unternehmen erwägt eine Migration mit 300 Servern auf Amazon AWS. Das wirft Fragen auf wie: Was kostet das? Wie lange dauert das? Ist das die richtige Plattform? Das Systemhaus kann aber nicht mitreden. Das nötige Wissen lässt sich auch nicht eben mal nachgoogeln. Der Trusted Advisor blamiert sich und verliert den Auftrag, noch bevor er Unterstützung einholen kann. Es kann also nicht heißen: Ich mach alles so wie früher, kenne aber für den Fall ein paar Cloud Natives.
Höger: Das Systemhaus muss die Grundlagen beherrschen und Überblickswissen aufbauen zu den Hyperscalern. Zum Glück sind Erstanfragen in der Regel vergleichsweise abstrakt und an diesem Punkt noch keine Raketenwissenschaft. Als Systemhaus muss ich zumindest mitreden können, um mir später die richtigen Partner:innen für die Umsetzung zu suchen. So behaupte ich die Rolle als Trusted Advisor, den Kund:innen bei IT-Fragen immer zuerst ansprechen.
Was wäre denn notwendiges Grundlagenwissen für den Channel?
Kaufmann: Zum Beispiel Identity- und Access-Management, um Accounts in der Public Cloud zu verwalten. Das muss ich als Systemhaus in der Hand behalten, um nicht den exklusiven Kund:innenkontakt zu verlieren. Schließlich ist das Profil Dreh- und Angelpunkt für alle Services auf einer Cloud-Plattform.
Gibt es langfristig überhaupt noch genug Geschäft für den Channel?
Krakau: Handelsgeschäft und Infrastrukturdienste verlieren ihre Bedeutung als Hauptsäulen für den Channel. Die Cloud ebnet die Infrastruktur mehr und mehr zur Commodity ein. Dabei wandern die IT-Umsätze nicht einfach in die Cloud ab. Mit diesem Schritt verändert sich das gesamte IT-Business. Selbst bei den Hyperscalern. Früher galt: Public Cloud ist Virtualisierung von Infrastruktur. Heute sind es vor allem Platform as a Service und Serverless Computing. Nicht IT-Infrastruktur, Software-Architektur wird immer wichtiger.
Kaufmann: In den Kund:innenfokus rückt die Digitalisierung von Prozessen und die Wertschöpfung aus Daten. Diesen Paradigmenwechsel beobachten wir ebenso auf Seiten der Cloud Natives. Ihre Aufgaben weiten sich von linearer Software-Entwicklung in Richtung Applikations-Modernisierung, wie eine EuroCloud-Mitgliederumfrage bestätigt. Den breitesten und tiefsten Kund:innenzugang im Markt aber hat nach wie vor der Channel, vor allem im Mittelstand. Das ist seine Chance. Er wird noch gebraucht – wenn er sich anpasst.
Wo sehen Sie die neue Rolle für Systemhäuser?
Kaufmann: Das zeigt sich schon im Verkaufsgespräch: Was früher Vertrieb war, ist heute fundierte IT-Beratung. Das erfordert andere Kompetenzen. Der Wandel setzt sich beim Betrieb fort: In der Datenwolke installiere ich kein Software-Paket mehr, um es jahrelang unverändert zu nutzen. Software zerfällt in viele kleine Mikroprozesse, die ständig weiterentwickelt werden. Jahr für Jahr bringen die Hyperscaler Tausende neue oder verbesserte Microservices heraus. Die Transformation hört nicht mehr auf. 24×7 bleibt ein Thema. Multi-Cloud-Management kommt hinzu. Viel geskriptetes Zeug bedeutet enorme Dynamik und kontinuierlichen Optimierungsbedarf. Wer behält in diesem Strudel den Überblick für die Kund:innen? Das kann und sollte der Job eines Systemhauses als Trusted Advisor sein.
Nach Handel, IT-Outsourcing und Managed Services – auf welches Geschäftsmodell soll der Channel in der Cloud setzen?
Höger: Sobald man auf Cloud-Plattformen unterwegs ist, ist nichts mehr statisch, weil sich alles fortentwickelt, aber so schnell wie in einer Zeitmaschine. Das ist ein völlig neues Setup. Problematisch ist für mich daran, dass es noch kein optimales IT-Geschäftsmodell gibt, auf dem Provider margenstarke Services aufbauen können. Wenn sich etwas im IT-Setup verändert: Ist das ein Projekt oder fällt das unter Recurring Revenues? Neue Anfragen lassen sich nicht endlos über Beratungsstunden abrechnen. Die Branche hat hier noch nicht den Stein der Weisen gefunden.
Klar ist: Sich lediglich auf Relationship-Management von Kund:innen-Accounts zu beschränken, wäre auf Dauer zu wenig für Systemhäuser. In dem Trio Trusted Advisor, Umsetzer:innen, Hyperscaler ist einer zu viel. Der Channel muss eigene Umsetzungskompetenz in Sachen Cloud aufbauen. Cloud Natives lösen Spezial- und Nischenaufgaben, Systemhäuser entwickeln sich zu Generalist:innen für die Cloud. Die Kooperation mit Cloud Natives wirkt dabei wie eine Zeitmaschine für die GoTo-Market-Strategie jedes Systemhauses. Weil sie schnelle Lieferfähigkeit bedeutet und gleich tief hinein ins Thema führt.
Wie finden Systemhäuser die passenden Cloud Natives?
Krakau: Mit eigenen Mitteln können sich Systemhäuser kaum einen neutralen Marktüberblick verschaffen. Die Zahl der Cloud-Native-Dienstleistenden in Deutschland ist noch gering. Außerdem wird im Markt viel Cloud-Washing betrieben. Selbst die Partner:innenübersichten der Hyperscaler sind nicht trennscharf, weil man schnell wieder bei konventionellen IT-Providern und der Konkurrenz landet.
Höger: Als EuroCloud-Verband haben wir da entscheidende Vorarbeit geleistet und unter Führung von Nils Kaufmann die wichtigen Player im Markt vernetzt. Mit unserer Initiative EuroCloud Native bieten wir exklusiven Zugang zu echten Cloud Natives. Sogar die Hyperscaler sind mit an Bord.
Krakau: Was liegt da näher, als das Cloud-Native-Netzwerk mit dem unserer Systemhausinitiative Channel2Cloud zu verbinden. Interessent:innen können gerne mit uns – Dr. Nils Kaufmann, Felix Höger oder Bernd Krakau – über LinkedIn Kontakt aufnehmen.
Wir danken für das Gespräch!