Haben Systemhäuser noch eine Zukunft in der Cloud?

von Felix Höger, Vorstand bei EuroCloud Deutschland
Systemhäuser sind das Rückgrat für die Digitalisierung des deutschen Mittelstands. Jetzt haben sie selbst zu kämpfen mit dem Wandel: Die Cloud lässt immer weniger Platz für ihr Kerngeschäft. Während in der lokalen IT-Versorgung die Nachfrage sinkt, fehlt für den Umstieg auf Managed-Cloud-Modelle noch die Expertise. Fünf Herausforderungen für die Systemhausbranche, die zugleich Chance bieten für alle, die jetzt entschlossen auf den Cloud-Zug aufspringen.

Die Cloud macht Unternehmen überlebensfähiger

Wie unter einem Brennglas erleben wir in der Corona-Krise, dass digitale Geschäftsmodelle und Cloud-Technologie zum Überlebensfaktor für Unternehmen werden. Wer seine Mitarbeiter von heute auf morgen ins Home-Office schicken oder seine Produkte noch über das Internet verkaufen kann, ist klar im Vorteil. Während in Büros und Geschäften das Licht ausging, wird in der Cloud vielerorts weitergearbeitet.

Im Lock-down lernt die ganze Wirtschaft den Wert einer ortsunabhängigen, mobilen und interoperablen IT schätzen. Ganz sicher werden Unternehmen nach dieser Erfahrung die Digitalisierung ihres Geschäfts mit anderem Bewusstsein vorantreiben. Die US-Hyperscaler als Betreiber der weltgrößten Cloud-Plattformen gehören darum schon jetzt zu den Gewinnern der Krise. Dagegen zwingt das verschärfte Tempo Richtung Cloud die Systemhäuser als wichtigste IT-Partner des Mittelstands dazu, ihre eigene Transformation unter erhöhten Risiken vorzuziehen.

1. Traditionelle Systemhauskompetenzen in der Cloud nicht gefragt

Dabei beschleunigt das Virus nur, was bereits angelegt war: Die Vorbehalte gegen die Public Cloud schwinden seit Jahren. Laut dem Beratungshaus Crisp Research sehen über 80 Prozent der Unternehmen aller Branchen die Cloud als tragende Säule ihrer IT. Bereits 2017 investierte der deutsche Mittelstand 41 Prozent seines IT-Budgets in den Einsatz von Cloud-Infrastrukturen. In weniger als einem Jahrzehnt hat sich somit mehr als ein Drittel der Nachfrage im IT-Service-Markt vom traditionellen Handels-, Lizenz- & Projektgeschäft in die Cloud-Economy verschoben.

Selbst kritische Geschäftsdaten speichert heute jedes dritte Unternehmen in den Rechenzentren von Amazon, Microsoft und Google. 2016 war es nicht einmal jedes fünfte. Bis 2023 erwarten die Marktforscher von IDC, dass Unternehmen weltweit ihr Budget für lokale IT-Infrastruktur auf knapp 42 Prozent verringern werden, gegenüber 52 Prozent 2018. Für die Systemhausbranche waren das schon vor Corona schwer verdauliche Zahlen.

Mit dem Wachstum der Public Cloud schrumpft ihr ureigenes Revier: die IT-Versorgung On-Premises. Vor allem kleinere und mittlere Dienstleister machen nach wie vor das Gros ihres Umsatzes auf den unteren Infrastrukturebenen, also mit dem Verkauf von Server-Hardware, Storage-Anlagen und Netzwerkausrüstung sowie der Integration der Systeme vor Ort beim Kunden. In der Public Cloud entfällt die Wertschöpfungsstufe „Blech“ dagegen komplett. Dem Systemhaus bleibt die Vermittlerprovision zwischen fünf und acht Prozent, die sich in der Cloud allerdings nach dem tatsächlichen Verbrauch des Kunden richtet und somit schwankt. Im Cloud-Zeitalter schrumpft das Resellergeschäft zum Nebenverdienst.

2. Infrastruktur verliert an Wert

Die Konkurrenz der Hyperscaler spüren auch jene Systemhäuser, die die nächste Evolutionsstufe ihres Geschäftsmodells bereits erreicht haben: Sie bieten ihren Kunden weitgehend standardisierte IT-Dienste aus eigenen oder gemieteten Rechenzentren an, so genannte Managed Services. Im Unterschied zum Handels-, Projekt- und Integrationscheschäft sind die IT-Systeme nicht mehr im Besitz des Kunden. Dieser nutzt stattdessen Infrastruktur und Betriebsleistungen aus der Private Cloud seines Providers auf monatlicher Basis.

Trotzdem setzt auch hier die Public Cloud Maßstäbe: Mit gigantischen Größenvorteilen und konkurrenzlos effizienten Rechenzentren sorgen die Hyperscaler für einen Preisverfall bei Infrastrukturdiensten. Flexible Vertragsmodelle und hoch entwickelte Benutzeroberflächen senken die Zugangsbarrieren zu IT-Ressourcen. Erfahrungen mit solchen Produkten prägen nachhaltig die Erwartungen von Geschäftskunden. Lange Vertragslaufzeiten, Premiumpreise oder manuelle Prozesse stehen damit unter Rechtfertigungsdruck. Vorteile bieten sich hier Systemhäusern mit Asset-light-Ansatz, also ohne Rechenzentren im Eigenbesitz, denn in der Cloud mangelt es nicht mehr an Infrastrukturkapazität, sondern am Know-how für den richtigen Einsatz. Das gilt besonders den neusten Trend: die Multi-Cloud.

3. Experten für Hybrid und Multi Cloud sind kaum zu bekommen

Um von einem möglichst breiten Spektrum an Innovationen zu profitieren, nutzen laut Crisp Research bald drei Viertel der Unternehmen mehr als eine Cloud. Neben der Hybrid Cloud – der Kombination aus Private und Public Cloud – verfolgen immer mehr Geschäftskunden eine Multi-Cloud-Strategie. Hierbei beziehen sie Services aus verschiedenen Cloud-Ökosystemen. Allerdings fehlt besonders dem Mittelstand das Fachwissen, unterschiedliche Cloud-Ressourcen souverän zu orchestrieren.

Die Hyperscaler sehen sich hier nicht in der Pflicht. Im kleinteiligen Beratungsgeschäft können sie ihre Größenvorteile nicht ausspielen. Die Analysten von Crisp Research und ISG erwarten einen neuen Dienstleistertypus, der diese Lücke füllt: Managed Cloud Provider unterstützen künftig Unternehmen als wichtigste Ansprechpartner bei Planung, Evaluation und Management von (Multi)-Cloud-Infrastrukturen.

Diesen stark wachsenden Bedarf müssen Systemhäuser adressieren! Sie sind nicht nur geografisch nah am Kunden, sondern die bevorzugten Ansprechpartner bei allen IT-Fragen. Die nötige Expertise aufzubauen ist selbst für IT-Dienstleister allerdings nicht einfach. Der Markt für Cloud-Architekten ist leer gefegt.

4. Hyperscaler erobern die letzte Bastion: On-Premises

Bis vor kurzem hoffte die Systemhausbranche, dass zumindest ein Budget nicht Richtung Public Cloud abfließt: In den IT-Fabriken der Hyperscaler war und ist kein Platz für die Business-Legacy. Die Pflege gewachsener, hochgradig individualisierter IT-Systeme passt nicht in das skalierbare und standardisierte Geschäftsmodell von Amazon, Microsoft und Google. Stattdessen migrierten die Unternehmen ihr Alt-IT in die Private Cloud. Bis jetzt.

Die US-Hyperscaler haben ihre Strategie angepasst: Wenn schon nicht alle lokalen Server-Kapazitäten in ihren Cloud-Rechenzentren aufgehen werden, dann machen sie „On-Premises“ eben zur Außenstelle ihres Technologie-Stacks. Lösungen wie Amazons Outpost oder Microsofts Azure Stack bieten Unternehmen eine Cloud-Komplettausstattung für das eigene Rechenzentrum.

Der Vorstoß könnte sich als Kipppunkt erweisen im Wettbewerb um die lokalen IT-Infrastrukturen: Setzen Unternehmen dieselbe Technologie in der Private wie in der Public Cloud ein, erhalten sie eine voll interoperable und zugleich skalierbare IT-Landschaft. Endlich profitieren sie auch auf eigenen Systemen vom extremen Innovationstempo der Hyperscaler. Ohnehin ist eine durchgängige Cloud-Architektur die richtige Strategie. Schließlich werden die kommenden Generationen von Business-Software nur noch für die Cloud entwickelt. Und jetzt laufen solche Programme auch On-Premises.

Für die Systemhäuser bedeutet das: Wertschöpfung gibt es langfristig vor allem auf dem Technologiestack der Hyperscaler. Sämtliche traditionellen IT- und TK-Geschäftsmodelle stehen auf dem Prüfstand. Der Transformationsdruck sortiert den Markt komplett neu – und das nach Corona in Höchstgeschwindigkeit!

5. Rechts- und Finanzrisiken der Transformation

Zur nächsten Evolutionsstufe, dem Managed Cloud Provider, brauchen Systemhäuser aber nicht nur neue Expertise und Fachpersonal, sondern auch Risikobereitschaft und Unternehmergeist bei der Finanzierung dieser Transformation.

Wie aggressiv soll ein Systemhaus den Umbau angehen? Wie radikal soll es sich vom Altgeschäft trennen? Während die Infrastrukturmargen wegbrechen und im Projektgeschäft die Tagessätze unter Druck geraten, sind die hohen Vorlaufkosten für den Aufbau des Servicegeschäfts zu stemmen. Diese lassen sich nicht unmittelbar auf Erstkunden abwälzen. Wo also soll die Liquidität herkommen für den Wandel?

Die Umstellung auf Geschäftsprozesse statt Projektgeschäft, auf fortwährend intakte Kundenbeziehungen und kontinuierliche Service- statt einmalige Handelsumsätze, auf 24×7-Betrieb von Diensten und hohe Nachfrage nach Top-Experten kostet vor allem Geld. Von den Rechtsrisiken ganz zu schweigen, die die Partnerschaften mit den großen Hyperscalern mit sich bringen. Stichwort: Verträge, Kostenstrukturen, Auftragsdatenverarbeitung.

Die Platzhirsche der Branche, die jedes Jahr organisch um 10 bis 15 Prozent wachsen, verarbeiten diese Bugwelle aus eigener Kraft. Die kleinen und mittelgroßen Anbieter werden sich spezialisieren und noch stärker auf Branchenwissen und radikale Kundennähe setzen.

Trotzdem: Systemhäuser sind unverzichtbar für die Digitalisierung

Die Transformation der Systemhäuser nimmt stark Fahrt auf und ist nicht minder anspruchsvoll wie die ihrer Kunden. Mit der bevorstehenden Beschleunigung nach der gegenwärtigen Krise wachsen die Geschäftsrisiken zusätzlich. Als Verband für die Cloud-Wirtschaft in Deutschland und Europa und als Experten für den Cloud-Markt wollen wir Systemhäuser in diesem Prozess stärker begleiten und unterstützen: zunächst mit einer Schriften- und Workshop-Reihe sowie einem eigenen Veranstaltungsangebot. Darüber hinaus bringen wir die Interessen der mittelständischen Dienstleister in die aktuellen politischen Initiativen auf nationaler wie europäischer Ebene ein, etwa bei GAIA-X, ebenso bei der Konzeption einer europäischen Datenstrategie.

Systemhäuser sind als Trusted Advisor und IT-Partner für die Digitalisierung des Mittelstands unverzichtbar. Entscheidend wird sein, dass sie entschlossen die Klassik ihres Geschäfts hinter sich lassen und sich mit dem richtigen Netzwerk neue Wachstumschancen im entstehenden digitalen Binnenmarkt erschließen.

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