Von Thomas Sprenger, freiberuflicher IT-Fachredakteur
Als Volker Nösse sein Systemhaus 1977 gründete, wurde der PC gerade erfunden. Seitdem war steter Wandel die Konstante – bis die Cloud kam. Im Interview mit eurocloud.de schildert André Nösse, wie er das Unternehmen seines Vaters vom IT-Handels- und Systemhaus zum Provider für Managed & Cloud-Services umbaute.
eurocloud.de: Herr Nösse, wenn Sie Ihrem Vater von 1977 gegenüberstünden, was würden Sie ihm raten?
André Nösse: Abgesehen von ein paar Aktientipps würde ich ihm Mut zusprechen und sagen, dass er unser Unternehmen zur richtigen Zeit gegründet hat. Mein wichtigster Rat wäre, dass die Beziehungen zu unseren Kunden uns durch alle Veränderungen im Markt tragen und später sogar mal sein Sohn seine Unternehmerkarriere darauf würde aufbauen können. Vielleicht noch: Vor 2016 ausreichend Urlaub zu nehmen, weil das, was danach kommt, heftiger sein wird als alles davor.
Volker Nösse gründete 1977 die Nösse Datentechnik
und übergab 2007 an seinen Sohn André.
Warum 2016?
Nageln Sie mich nicht auf ein Jahr fest. Die nötigen Zutaten waren eigentlich alle schon vorher da: Ausgebaute und bezahlbare Breitbandnetze, vernetze Endgeräte in jedem Haushalt und Büro, Menschen, die damit umgehen konnten und eben die Cloud. Aber erst Mitte der 2010er Jahre begann sich in Deutschland – die USA waren schon viel weiter – auch die Wirtschaft für die Cloud-Plattformen zu öffnen. Die Menschen erlebten, wie rückständig ihre Büro-IT war im Vergleich zur Computertechnik daheim. Das war nicht immer so: In den 1980er und 1990er Jahren setzte die Unternehmens-IT noch die Trends. Heute kommen die Innovationen aus dem Consumer-Bereich: digitale Inhalte teilen, mobiles Arbeiten, nutzerfreundliche Apps, WLAN usw. Die Computertechnik aus dem Wohnzimmer prägt die Erwartungen für zeitgemäßes Arbeiten in den Büros. So wuchs der Modernisierungsdruck auf die Arbeitswelt. Verstärkt noch durch weltweite Produktkampagnen von IT-Hersteller wie Microsoft, die ihre Kundschaft in die Cloud bewegen.
Wie haben sich die Erwartungen Ihrer Geschäftskunden an ihre IT verändert?
Wir erleben die Netflixisierung der Business-IT: Wenn Sie daheim Filme schauen wollen, wie sähe das passende Produkt aus? Ganz sicher wollen sie kein teures Abspielgerät kaufen, es umständlich mit Ihrem Fernseher verkabeln und sich durch ein Handbuch quälen müssen, dazu immer neue Datenträger kaufen, horten und sortieren? Heute alles unnötig! Sie gehen online, schließen ein Netflix-Abo ab, machen es sich auf Ihrem Sofa bequem und suchen sich Ihren Wunschstreifen aus einem Angebot von Tausenden Filmen aus. Sekunden später startet die Vorführung auf Ihrem Fernseher, Tablet, Smartphone oder PC. Und das nicht nur in ihrem Wohnzimmer, sondern überall, wo Sie Zugang zu schnellem Internet haben. Und wenn Sie den Service nicht mehr wollen, bestellen Sie das Abo einfach wieder ab. Das Ganze kostet sie pro Monat kaum mehr als ein Kinobesuch. Genau so würden am liebsten auch Geschäftskunden ihren IT-Einkauf organisieren.
Was heißt das für das klassische Systemhausgeschäft?
Um im Bild zu bleiben: Früher halfen wir unseren Kunden, Videorekorder zu installieren, zu verkabeln, zu programmieren, und wir bauten auch die Regale für die ganzen Videokassetten auf und übernahmen auf Wunsch auch das Sortieren und Katalogisieren der Kassetten. Nur waren es keine Videorekorder, sondern Server, Rechenzentrums-Infrastruktur und Software-Pakete. Die Cloud aber macht unsere klassischen Leistungen Schritt für Schritt überflüssig. Die Zeit aufwendiger Integrationsprojekte geht zu Ende. Kunden wollen keine eigenen Server mehr bei sich installieren und betreiben. Sie wollen nicht einmal mehr Server mieten. Sie wollen bestimmte IT-Funktionen als Service aus dem Netz beziehen.
Sie starteten als Handelshaus für Hard- und Software, was noch heute einen Teil Ihres Geschäfts ausmacht. Wie haben Sie sich an den Wandel durch die Digitalisierung angepasst?
Es fing damit an, dass Kunden zunehmend Dienstleistungen nachfragten anstelle von Produkten. Als ersten Schritt in diese Richtung erweiterten wir vor zehn Jahren unser Handelsgeschäft um Managed-Print-Dienste. Fünf Jahre später begannen wir damit, einen Geschäftsbereich für Managed-Services aufzubauen. Eine wachsende Zahl unserer Kunden wollte nicht mehr in eigene Rechenzentrumsinfrastruktur investieren und suchte nach geeigneten Hosting- und Betriebsoptionen in ihrer Region. So traf uns der Cloud-Boom der letzten Jahre nicht unvorbereitet.
Vor welche Herausforderungen stellt Sie der Wechsel in die Cloud?
Der Schritt von On-Premises-Projekten zum Hosting war noch überschaubar: Wir übernahmen die Systeme und verlagerten sie eins zu eins in unser Rechenzentrum. Aber in der Cloud macht diese Form von Lift&Shift keinen Sinn. Und damit fangen die Probleme an: Allein schon aus Kostengründen kann man die IT-Legacy der Kunden nicht einfach in die Cloud hochladen. Nötig ist eine Übersetzungsleistung, um die von den Kunden benötigten Funktionen auf der Plattform eines Hyperscalers abzubilden. Aber wie übertrage ich zentrale IT-Prozesse? Wie nutze ich die Microservices der Plattform, zum Beispiel eine SQL-Direktanbindung ohne Betrieb eines Servers? Wie muss ich Applikationen entsprechend anpassen oder umbauen? Das ist eine ganz andere Art von Herausforderungen. Dazu müssen wir uns als Dienstleister tief in die Prozesse der Auftraggeber: einarbeiten. Wir sind nicht mehr nur Lieferant, sondern beinahe schon Organisationsberater.
Was raten Sie Systemhäusern, die solche Dienste aufbauen wollen?
Systemhäuser müssen vor allem ihre Kompetenzen, ihr Personal und ihren Cashflow im Blick haben. Die Cloud verlangt neue Fähigkeiten und auch Mitarbeiter. Wir können nicht dieselben Spezialisten für Virtualisierung und Rechenzentrumsanbindung in Cloud-Projekten einsetzen. Statt Administratoren und klassischen Produktverkäufer brauchen wir Systemarchitekten und einen Vertrieb, der die Kunden auch in technischen Fragen berät. Aber der Markt für Cloud-Experten ist leergefegt. Fachleute allein von außen zu rekrutieren, ist für mittelständische Systemhäuser nicht möglich. Darum entwickeln wir die nötigen Kompetenzen im eigenen Haus. So haben wir einen technischen Vertrieb aufgebaut. Dazu ließen wir unsere Verkäufer von Kollegen aus dem Consulting schulen. Das erforderte Zeit, Geduld und Investitionen. Qualifikation ist aber nur das eine. Ebenso wichtig ist, dass die eigenen Mitarbeiter den gleichen Blick auf Managed-Services haben und die Technologie verstehen.
Wie überzeugen Sie ihr Team von der Arbeit mit der Cloud?
Systemhäuser sollten ihre Mitarbeiter mitnehmen. Wir haben seinerzeit ein Pilotteam von Fachleuten aufgestellt, die Managed-Services leben. Ihre Kollegen sehen, wie sich die neuen Technologien und Strategien erfolgreich einsetzen lassen und docken an das positive Beispiel an. So tragen die Pioniere die neuen Ansätze ins Unternehmen. Zusätzlich boten wir auch handfeste Anreize, vor allem im Vertrieb.
Welche Bedenken gab es im Vertrieb gegenüber Managed-Services?
Im Handels- oder Projektgeschäft erhalten Verkäufern eine Provision gleich nach erfolgreichem Vertragsabschluss. Bei Managed-Services hingegen fließen Umsätze nicht einmalig, sondern über die gesamte Vertragslaufzeit zu. Entsprechend streckt sich auch die Provision. Das ist für den Vertrieb am Anfang weniger attraktiv. Darum haben wir Leistungen vorab provisioniert.
Praktizieren Sie das heute noch so?
Mittlerweile sind wir zum monatlichen Modell zurückgekehrt, um im Vertrieb kein Rentenmodell aufzubauen. Man muss die Balance zwischen kurz- und langfristigen Anreizen wahren.
Sie sprachen vom Cashflow. Welche finanziellen Belastungen bringt die Umstellung auf Managed- & Cloud-Services mit?
Direkte Erträge aus dem Handels- und Projektgeschäft zu erzielen, war einfacher für uns. Managed- und Cloud-Services sind aus Finanzsicht anspruchsvoller zu managen. Das Geld fließt langsamer, weil die Kunden in kleinen monatlichen Raten zahlen. Zusätzlich müssen Provider die Kosten für den Aufbau des neuen Geschäftsbereichs aufwenden und zugleich sinkende Einnahmen im Altgeschäft ausgleichen. Das ist uns in den letzten Jahren immer besser geglückt, so dass wir heute bei Managed- & Cloud-Services stark wachsen…
…trotzdem bewerben Sie ihre neuen Dienste nicht zurückhaltend?
Ganz bewusst. Wir sind im Handels- und Projektgeschäft nach wie vor sehr stark. Wenn man wie wir als mittelständisches Systemhaus Tausende funktionierende Geschäftsbeziehungen vom Mittelständler bis zum Dax-Konzern hat, lastet allein deren Anfrage unsere wachsende Kapazität im neuen Geschäftsbereich aus. Der Umbau unseres Geschäftsmodells geht also einher mit dem Wandel unserer Kundenbeziehungen. Letztlich transformieren wir unser großes Fundament an Bestandskunden auf Managed- und Cloud-Services.
Wir danken für das Gespräch!
Nösse Datentechnik
Die Nösse Datentechnik GmbH & Co. KG wurde 1977 durch Volker Nösse gegründet und feierte im Jahr 2017 ihr 40-jähriges Jubiläum. Seit 2008 führt André Nösse das Unternehmen in zweiter Generation. Verstärkung bekam er durch Matthias Erhard, der 2015 mit in die Geschäftsführung gestoßen ist und bereits seit 2011 das Managed-Services-Angebot der Nösse weiterentwickelte. Branchenübergreifend und nicht selten seit mehreren Jahren arbeitet der Provider wir mit 2.650 Kunden, vom Mittelstand bis zum Großkonzern, erfolgreich zusammen.