Weckruf aus der Biosphäre: Digital und nachhaltig in einer besseren Welt leben

Von Nils Klute, Projektmanager Kommunikation EuroCloud Deutschland

„Wir müssen den digitalen Fortschritt als das verstehen, was er ist: der Hebel zu mehr Nachhaltigkeit“, sagt Karl-Heinz Land. Im Interview mit eurocloud.de spricht der Digitalvisionär über Fallstricke der Datenökonomie, Potenziale von GAIA-X und seine Bücher.

 

Herr Land, in Ihrem aktuellen Buch schreiben Sie über die Corona-Krise als Wendepunkt. Wie wird sich die Welt durch die Pandemie wandeln?

Karl-Heinz Land: „Die Pandemie zwingt uns, innezuhalten und unser System und Verhalten zu hinterfragen. So brutal die Ereignisse und Folgen des Virus für uns sind, ist es dennoch an der Zeit für einen Neuanfang. Eine Chance, uns neu zu sortieren, die Ursachen für Probleme zu erkennen und zu beheben, statt Symptome zu betäuben.“

 

Heißt beispielsweise?

Land: „Unser Zusammenleben hat sich verändert und uns bewusstgemacht, wie bedeutend die Digitalisierung für unsere Gesellschaft ist. Mit dem Dienstauto zum Kundenbesuch oder dem Flugzeug zum Kongress – früher alles kein Problem. Was oftmals unnötig Ressourcen verbraucht, Abgase und Müll produziert und die Umwelt belastet hat, ersetzen wir heute wie selbstverständlich durch Messenger, Videochats und Onlineevents. Wir haben erkannt, dass Arbeit in vielen Fällen keinen Ort braucht. Deshalb verkleinern Firmen ihre Büroflächen und richten mobile Arbeitsplätze ein. Eine Veränderung, die sonst Monate gebraucht hätte, aber jetzt in wenigen Wochen gelingt. Auch Schulen erkennen, was sie versäumt haben: Einfach online zusammen lernen und Wissen digital vermitteln.“

 

Warum packen wir das erst jetzt an?

Land: „Deutschland ist ein Land der Denker. Mutig sein und neue Wege beschreiten, setzt jeder Grübelei ein Ende. Anpacken, ausprobieren und einfach mal machen, das zählte bis dato nicht zu unseren Stärken. Corona hat uns in dem Punkt keine Wahl gelassen und uns da getroffen, wo es am meisten schmerzt: dem eigenen Wohlbefinden.“

 

Wie steht es denn um unser Wohlbefinden?

Land: „Keine Krise hat unsere Generation jemals so sehr am eigenen Leib gespürt. Denken wir an Klimafragen, Migrationsprobleme, Armut und den Hunger in der Welt – das alles sind nicht minder drängende Fragen, die wir lösen müssen. Aber Fragen, bei denen niemand fühlt, wie sehr es ihn eigentlich betrifft. Die Folge: Eine sozial ungleiche Welt.“

 

In Ihrem Buch „Erde 5.0“ gehen Sie davon aus, dass die Digitalisierung die Welt ins Gleichgewicht bringen kann. Wie realistisch ist das?

Land: „Die Digitalisierung liefert uns alle Werkzeuge, um die Welt zu retten. Wie das aussehen kann, zeigt erneut Corona. Dauerte es sonst Jahre, um Impfstoffe zu entwickeln, schaffen wir es heute binnen weniger Monate. Digitale Innovation, menschliches Know-how und künstliche Intelligenz (KI) sind nicht nur in der Biochemie der Schlüssel zum Erfolg…“

 

Sondern wo noch?

Land: „…in allen Lebens- und Arbeitsbereichen! Denken wir etwa an den Verkehr. Immer mehr Menschen wohnen in riesigen Städten. Viel zu viele Autos verstopfen die Straßen. Dabei hat der eigene PKW doch nur einen minimalen Wirkungsgrad. Statt Autos zu besitzen, müssen wir sie über digitale Sharing-Plattformen online teilen. Und statt sie weiter selbst zu fahren, müssen wir sie mit KI intelligent auslasten und autonom steuern.“

 

Und wie lassen sich soziale Fragen digital lösen?

Land: „Der Schlüssel ist Bildung. Und das Internet ist die Basis, um Wissen zu demokratisieren, Menschen aufzuklären und global partizipieren lassen. Wenn alle auf der Welt teilhaben können, bauen wir langfristig soziale Ungleichheit ab und befähigen uns gegenseitig, die Zukunft zu gestalten.“

 

Wie schnell wird diese Zukunft real?

Land: „Sehr bald! Menschen denken linear. Die Digitalisierung schreitet aber exponentiell voran. Wie schwer es uns fällt, exponentielle Abläufe einzuschätzen, haben wir auch bei Corona gesehen. Die digitale Welt dreht sich von Tag zu Tag schneller.“

 

Woran machen Sie das fest?

Land: „Jules Verne ließ uns in seinen Büchern zum Mond und auf den tiefsten Punkt des Meeres reisen. Erst ein Jahrhundert später stand die Technologie bereit, mit der sich die Stoffe seiner Geschichten realisieren ließen. Anders Elon Musk: Er kündigt an, Menschen in den Weltraum fliegen zu lassen – aber bereits zehn Jahre später dockt sein autonomes Raumfahrzeug an die ISS an. Fortschritte wie diese machen KI, digitale Technologien und das Internet möglich.“

 

Nicht erst seit dem vergangenen Digital-Gipfel will die Digitalisierung auch nachhaltig werden. Warum ist das notwendig?

Land: „Wir müssen den digitalen Fortschritt als das verstehen, was er ist: der Hebel zu mehr Nachhaltigkeit. Einer Nachhaltigkeit, die die Anforderungen von Ökologie, Gesellschaft und Ökonomie ins Gleichgewicht bringen kann.“

 

Was heißt das praktisch?

Land: „Denken wir zurück an den autonomen Verkehr. Wenn wir unsere vernetzte Mobilität von morgen intelligent managen, erreichen wir mit weniger Ressourcen mehr. Brauchen wir weniger Autos, dann schonen wir das Klima und die Umwelt. Fest steht doch, das Auto, das gar nicht gebaut wurde, ist das nachhaltigste!“

 

Was rollt da auf die Automobilindustrie zu?

Land: „Die Zukunft gehört intelligent gesteuerten Fahrgastzellen. Diese werden wir mit dem gleichen Selbstverständnis nutzen wie einen Fahrstuhl. Wen interessiert schon die Marke eines Lifts? Hauptsache, ich komme in meiner Etage an. Nicht nur die Automobilindustrie muss umdenken – jede Branche.“

 

Wie bereit zum Umdenken ist die Wirtschaft?

Land: „Ein Beispiel: Software und Service sind die Wertschöpfung der Zukunft. Um Geld zu verdienen, müssen Firmen bereit sein, Daten miteinander zu teilen. Genau in dem Punkt zeigen sich kulturelle Unterschiede. Zurecht stehen Fragen der Datensicherheit, der Datensouveränität und des Datenschutzes ganz oben auf der Agenda. Oft bleiben Daten aber deshalb in Silos liegen, weil Unternehmen herrschaftliche Eigeninteressen verfolgen. Dabei ist Teilen in der Datenökonomie die Grundlage für Reichtum und Wohlstand, der allen gleichermaßen zugutekommen kann.“

 

Den Wohlstand der europäischen Datenökonomie soll jetzt GAIA-X sichern. Wie schätzen Sie die Initiative ein?

Land: „Ein verteiltes Datenökosystem auf Basis europäischer Werte und Standards ist ein guter Ansatz. Aber ich habe Zweifel, ob er zündet, weil die Kulturen eben so unterschiedlich sind. Nach meiner Meinung vermittelt sich der Nutzen des Projekts zu schwer. Ich würde mir wünschen, viel mehr über die Vorteile für Verbraucher zu erfahren.“

 

An welche Vorteile denken Sie bei GAIA-X?

Land: „GAIA-X wäre in der Lage, aufzuzeigen, wie biologisch, fair oder ressourcenschonend etwas produziert, angebaut oder erzeugt wurde. Alle diese Daten fließen doch durch GAIA-X! Am Ende müsste jeder im Supermarkt entscheiden können, was er in den Einkaufswagen legt. Barcode mit dem Handy scannen, Informationen über das Internet abrufen – fertig!“

 

Offenbar wird das Internet immer wichtiger. Wie stellen wir sicher, dass jeder profitieren kann?

Land: „Das Internet ist die Infrastruktur des künftigen Wohlstands. Daher muss ein Zugang zum Netz ein Grundrecht sein. Wir dürfen nicht Gefahr laufen, diejenigen abzuhängen, die keinen Zugang haben. Zwar liefert uns Jules Verne keine Romanvorlage, aber Elon Musk mit Starlink eine Vision.“

 

Apropos Romanvorlage: Mit ihrem neuesten Werk „Permanent Error“ gehen auch Sie neue Wege. Warum ist es ein Krimi geworden?

Land: „Um noch viel mehr Menschen für meine Themen und Ideen zu begeistern, habe ich mich gegen ein Sachbuch entschieden. So wurde es ein Wirtschaftskrimi, der unser bedingungsloses Streben nach Mehr hinterfragt.“

 

Kein digitales Thema?

Land: „Doch! Hauptakteur ist ein Journalist, der über den Abgasskandal recherchiert und plötzlich selbst zum Verdächtigen wird. Ich versuche, die Mechanismen zu erklären, die dazu führen, dass sich Konzerne und Menschen derart verführen lassen. Vieles ist eine Frage falscher Anreize. So entsteht eine Abwärtsspirale, die wir nur durchbrechen können, wenn wir den permanenten Systemfehler unserer Zeit korrigieren. Die Digitalisierung ist dafür ein Baustein. Er gibt uns die Möglichkeit, die Zukunft jeden Tag neu zu erfinden, um nachhaltig in einer besseren Welt zu leben.“

 

Wir danken für das Gespräch!

 

Zur Person

Als international gefragter Keynote Speaker und Coach, als Visionär und Autor sowie als Insider der digitalen Transformation schafft Karl-Heinz Land ein Bewusstsein für Tempo, Tiefe und Ausmaß der Digitalisierung. Er durchdenkt die Digitalisierung ebenso konsequent wie interdisziplinär und akzeptiert keine Grenzen des Denkens. So legt Land die verborgenen Zusammenhänge und Treiber der Digitalisierung offen und bewegt Unternehmen und Organisationen in Richtung Zukunft. Seit Anfang 2020 ist Land Mitglied im Präsidium des eco – Verbands der Internetwirtschaft e. V.

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